Hermann-Josef Kuhna

Hermann-Josef Kuhna

3.2. – 26.2.2006

www.hj-kuhna.de/

Vorwort
Seit Jahren zählt Hermann-Josef Kuhna zu den Künstlerpersönlichkeiten, die sich ausschließlich mit der Wirkung der Farbe auseinandergesetzt haben. Seit 1972 bildet er Kunsterzieher und Künstler an der Kunstakademie Münster aus, die ihn 1979 zum Professor ernennt. Es ist mir eine besondere Freude seine Arbeiten vom 3.Februar 2006 bis zum 30. April in Duisburg zeigen zu können.
Downtown 1997
Ich durfte Hermann-Josef Kuhna als einen ständig arbeitenden, sehr aktiven , Künstler kennen lernen, der seine Experimentierfreude – in dem von ihm festgelegten Rahmen der „pointillistischen“ Farbwirkung – geradezu auslebt. Mit größter Disziplin setzt Kuhna Farbtupfer auf farbigem Leinwanduntergrund und schafft es durch Verdichtungen der Pinseltupfer oder –striche das Auge des Betrachters auf bestimmte Konzentrationen und Bewegungen zu lenken. Seit Monet, Seurat und Signac, sind uns diese Phänomene, die Zusammensetzung einer Form, einer Landschaft eines Gegenstandes allein aus Farbtupfern und –strichen bekannt. Hermann-Josef Kuhna geht jedoch mit seiner zeitgemäßen „strukturellen Malerei“ einen bedeutenden Schritt weiter, ja, er geht bis zum Extrem des Erkennbaren oder bis zur Grenze von erkennbarer Form. Wo befindet sich der schmale Grad zwischen schwingenden Farbklängen und Ornament? zwischen noch erkennbarer Form und der totalen Auflösung in Einzelpunkten? Wo kann die Grenzlinie zwischen einem all-over-painting und einer ornamentalen Arabeske gezogen werden? Die Arbeiten Kuhnas zeigen diese Grenzen auf, ohne sie jedoch zu definieren – und so sind sie eine Schule des Sehens für den jeweiligen Betrachter, der sich auf sie einlässt und für sich die Grenzen bestimmt.
Kuhnas strukturelle Malerei zeichnet sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus und fordert gleichsam den Betrachter dazu auf, sich in die Bildinhalte einzufühlen. Man muss sich mit der Farbe „Eins“ fühlen, um Sie in sich aufzunehmen, ja, um in sie einzutauchen. Erst dann wird man die Farbe in vollem Umfang erleben und sich ihrer Bewegung und Schwingung hingeben können. Dies gilt für den Künstler Kuhna, wie für die Betrachter seiner Arbeiten.
Dr. Claudia Schaefer
Leiterin der cubus kunsthalle, duisburg
 

 

Hermann-Josef Kuhna
1944 in Ottenhausen/Thüringen geboren Biographie:
1964 Abitur am humanistischen altsprachlichen Gymnasium in Köln-Mülheim
Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei den
Professoren Bobek, Arnscheidt und Weber
1969 1. philologische Staatsprüfung
1971 2. philologische Staatsprüfung
Ernennung zum Assessor des Lehramtes
Ab Mai 1971 freier Maler und Hilfsarbeiter im Dienstleistungsgewerbe
1972 Ab Wintersemester Dozent am Institut für Kunsterzieher der Staatlichen
Kunstakademie Düsseldorf, Abteilung Münster
1979 Ernennung zum Professor an der mittlerweile selbstständigen
Kunstakademie Münster
Pulsschläge der Zeit

Der Zufall fügt es, dass einige frühe Bilder von Hermann-Josef Kuhna sich seit Jahren in einer Pariser Sammlung befinden. Sie markieren eine rare Gelegenheit, dem verzeigten Weg von sublimierten Ausläufern des späten Informel über Nachklänge zum Surrealismus bis zu Vorausgriffen auf die musterselige Pattern Art der 70er Jahre zu folgen. Der junge Maler ist auf der Suche, doch seine Bilder sind erstaunlich stark und weit. Sie lassen sich noch in keine Richtung orientieren – aber sie entwickeln sich mit großer Konsequenz zu chromatischen Organismen, die das Telos dieser Malerei darstellen.
Das früheste Bild entstand 1967 und heißt Orange. Die starkfarbige Assoziation ist eine vitale Übertreibung, denn abgeklärter u. verhaltener kann ein Bild kaum sein. Ein rötliches Fleckenwerk wird durch ein schmutzgelbes, bedeckt grünes Gespinst feinster Nuancen sanft ins Zittern versetzt. Kaum, dass der orange farbige Grund zu ahnen ist – und doch kommt das Auge bei diesem optischen Kammerton nicht zur Ruhe. Die Oberfläche kräuselt sich im Spektrum von Rosa, Orange, Gelb,. Grün. Sie berührt Informel, Struktur, Monochromie. Das Bild des 23jährigen stimmt noch aus der Akademiezeit. Ein Kolorist des Leisen, Stillen auf dem Weg?
Aber Kuhna fährt nicht fort, die Leinwand sanft zu streicheln. Ein Jahr später wogt das Bild „witchcraft“ – Hexerei – als lebhaft beschwingtes Ornament. Es aktiviert kurvige Energien von Yin und Yang, von Mondsicheln und Tropfenflut. Alle Einzelformen sind klar umrissen. Die gleitenden Wirbel führen das Auge in Wellenrhythmen mit. Ein unaufhörlicher Tanz fließender Rundungen, der beruhigt, weil kein einziges Partikel aus dem Reigen tanzt. Weil alles, wie verbunden und verflochten, weiter schwingt, obgleich kein Teil an seinen Nachbarn stößt.
Dann gerät der junge Maler in einen anderen Bann. Der neue Zustrom führt in das Paris der Surrealisten und gleichzeitig weiter im Werk. Die Décalcomanien von Max Ernst und eine Symbolwelt des Halbbewussten, Unbewussten dringen durch. „Kirmes Entzug alpha“, exakt zehn Jahre später, hebt im Zentrum eine stahlblaue Palette hervor, von der bunte Luftschlangen ausstrahlen. Symbol für eine Malerei, die bedrohlich auf den Leib rücken kann? Zehn Messer stoßen rundum in rote Flecken, Blut färbt, wo sie eingebohrt worden sind. Die Malerei, ein gefährliches Metier? Oder wird romantische Topos von der tödlichen Macht der Kunst ironisch pointiert? Aufgespießt! In die Zukunft weist, dass Partikel und Flecken jetzt zusammenwollen. Ein gelbes Lineament vernetzt das farbig abgetönte Fleckenmuster des Grundes und durchfließt sein körniges Geriesel.
Im Bild „Kuhnakarium“ von 1985 hat der Verband sich vollends durchgesetzt. Er entfernt sich aus der Nähe orientalisch anmutender Ornamente ebenso wie vom psychisch aufladbaren Reservoir surrealistischer Symbole. Kuhna festigt die „Surrealität“ zur „Bildrealität“ und wird so zum Benjamin einer Ausstellung, die Jürgen Harten 1975 unter diesen Begriffen in der Kunsthalle Düsseldorf versammelt. Er geht damit dem historischen Zusammenhang automatischer Verfahren und bildnerischer Gesetzlichkeit nach. Für „Kuhnakarium“ hieß das: Farben rufen Farben herbei. Blau ein komplementäres Gelb, Rot ein dezentes Grün, das wie ein Echo verhallt. Zur Mitte hin strömt rosa Licht zusammen, das den Zellverband aufschmilzt.
Die letzten zwanzig Jahre heben sich deutlich als eine gesonderte Phase ab. Ohne Brüche oder rapide Entwicklungsschübe, aber auch ohne Stagnation. Jedes Bild wird sich selbst zur Aufgabe, Fleck für Fleck. Zu diesem malerischen Archetyp vor aller Bedeutung, Komposition, Illusion kehrt Kuhna zurück. Der Fleck, der farbige Impuls zieht sich als eigener Strang durch die ganze Kunstgeschichte. Ein venezianisch-koloristischer neben einem florentinisch-linienklaren, ein barocker neben einem klassizistischen Strang. Über den späten Tizian schreibt der bedeutende Kunsthistoriker Theodor Hetzer er wende die Malerei „zum kühnen Wesen des Flecks“. Wichtig ist, dass der Fleck farbig ist. Anders bleibt seine Ruhkraft stumm. Nur die Farbe sucht farbige Antworten; sucht Ab- und verführt zum Delirieren, doch letztlich verweigert sich Kuhnas strikt bildnerisches Konzept jeder Selbstentäußerung. Auch die lebhafteste Dynamik bettet sich in harmonische Ausgewogenheit.
Manchmal verdichtet eine Farbe sich durch Zusammenziehung zu lesbaren Figuren. Einem Herz in „Tristan“ oder einer sanft modellierten Rundung in der „Woge“, hinter der, hören wir auf Kuhna, die Anmutung eines Decolletés steht. Kuhna inspiriert sich beim Malen auch a AsZustimmung oder Komplementären Kontrast. Kuhnas Farbe bleibt flach ohne pastoses Profil der Pinselspur. Die stufenweise Trocknung bewahrt allen Farben ihre ungebrochen Leuchtkraft. Nur so wirken sie pur, unverwaschen und unvermischt. Der Auftrag in Partikeln steigert diesen nackten Kolorismus zu gleißender Härte oder einem sonoren Lyrismus, immer ohne weiche Abtönung, ohne Schattenhülle und Reflexe. Nur der helle oder dunkle Buntwert spricht.
Die Flecken können sich runden, biegen, tropfenförmig zuspitzen oder in die Länge ziehen. Sie können Punkt, Tupfer, Klecks, Häkchen, Splitter, Steg, Triangel sein. Alle Formen und Verläufe kommunizieren, verflechten, verweben sich – ohne einander zu stören oder gar zu verwischen. Sie strömen und wuchern zusammen, überwinden die klassische Zweiteilung von Figur und Grund und überführen sie in eine unlösliche Textur.
Nach dem Fleck also die Textur! Wie kommt sie zustande? Eine erste farbige Lage verlangt nach einer Reaktion. Eine zweite farbige Lage folgt, dann eine dritte…und so fort. Jeder nächste Schritt treibt die Verdichtung weiter. Nichts darf verschmieren oder verfließen. Kuhna arbeitet, wie er selbst sagt, die Leinwand „vollkommen ab“ – nicht aus einem erstickenden horror vacui, sondern, im Gegenteil, um Lebensraum für farbige Mikroorganismen zu schaffen. Einen wimmelnden Verband , der wie ein intaktes biologisches System ausbalanciert ist. Ästhetisch gesehen erscheint die Bildfläche als ein fluktuierendes Equilibrium, in das Strömen und Stauen, Stoßen und Stocken, Drängeln und Driften eingeflossen sind, zentrifugale Kraftströme brechen sich am Bildrand und laufen aus. Zentripetale Strömungen ziehen Partikel wie Magnetfelder in ihren Sog und kreisen um ihren Kern.
Das beginnt, groß angelegt, 1985 mit „Moossonne“ und vervielfacht das spiralende Kreisen 2003 im Bild “lapin agil“. Unser Auge gerät in wirbelnde Rotationen: ein kinetisches Pulsieren, das (anders als in der Op Art) keiner trägen Netzhaut, sondern verschlungenen Unterströmungen im Fleckendschungel folgt. Längeres Hinsehen soziationen, latenten Erregungen, Stimmungen, Vorstellungen, oft erotischer, oft landschaftlicher, oft musikalischer Art. Sie bestimmen das farbige Klima, anatomische Annäherungen, sinnliche Kurven, einen Hügel oder Rückenkontur. Man darf das hineinlesen. Zur Lesbarkeit eines Vexierbildes, zur Absicht eines Motives konkretisiert sich das jedochj nicht, aber es schwebt als kaum sichtbare Aura in jedem Bild. Auch die Titel erinnern, poetisch umschrieben, an den vage bleibenden Anlass.
Kuhnas Farbe! Sie baut Spannweiten auf, die überbrückt sein wollen. Hier liegt das eigentliche ästhetische movens für diese Malerei, die auf einer immensen Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit Farben beruht. Die Farbe und nur die Farbe beherrscht seine Malerei. Um sie von Nebenaufgaben, Licht, Schatten, Linie fraizustellen, verzichtet er sogar auf Finessen und Subtilitäten der peinture.
Doch die Intensität direkt aus der Tube oder von der Palette ist nur das eine. Maßgeblich wird das Zusammenspiel: koloristische Synergieeffekte, bis hin zu konfettiartiger Buntheit oder juwelenhafter Brillanz. Kuhna ist ein Meister sorgsamer Nachbarschaften, Interaktionen und Resonanzen. Jede Farbe führt, wie Ursula Mildner schreibt, einen Diskurs mit sich selbst. Gewiss wendet Kuhna das nicht analytisch an , doch der Farbsystematiker Albers steht näher als der Augenschein glauben macht. Dabei ist keine Farbe geringer als die andere. „Schlechte“ Farben kennt Kuhna nicht. „Orange“ wertet im Zusammenklang einen beigen Grundton zu kostbarem Brokat auf. „Weekend“ vitalisiert ein feierlich müdes Rotblau durch kleinteilig eingesprengtes Gelb und bringt es zum Funkeln. Neuerdings erkundet Kuhna Möglichkeiten nahe beim Weiß. Wieviel Farbe erträgt Weiß, um dennoch nicht bunt zu erscheinen? Wieviel Weiß darf sein, damit die Farben nicht ausgelöscht werden? Ein ähnliches Problem trieb den Impressionisten Sisley um, als er im Schneekristall die Spektralfarben entdeckte. Bei Kuhna hat die Recherche allerdings keinen physikalischen Hintergrund. Er kennt die verschiedenen Farbtheorien und –lehren, setzt sie aber nicht um. Höchstens, dass er sie praktiziert. Er bleibt bei seiner Motivation des Assoziierens und Erinnerns. Ein Weiß dominiertes Bild heißt „Blanchisserie“, ein anderes, das er mit einem Decolleté verbindet, „Woge“.
Gleichzeitig setzen die Farben wechselnde Tempi in Gang. Orange, Karminrot, Violett changieren in kurzen Sprüngen und binden die Farbbewegung an kurze Takte. Komplementäres Rot und Grün erzeugen einen gemessenen, stabilen Akkord. Auch Thermik und Gravitation spielen herein. Vorherrschende Rotpartikel heizen auf. Sie beschweren warm absinkende Zonen. Blaupartikel kühlen ab und steigen hoch. Warme und kalte Farben strecken zusammen eine flache Raumbühne für die stereoskopisch flirrende Choreografie der Flecken ab. Ein sich Reiben, Entzünden, Pulsieren bis in die Ecken! Es wäre ein Thema für sich, die Wechselwirkung von Farbbewegung und Fleckenrhythmus, Farbklima und Farbraum zu beschreiben.
Etwas Eigenartiges geschieht. Obgleich diese jüngeren Bilder ohne alle Zeichen und Symbole sind, obgleich alles Psychografische in der Bildstruktur aufgeht, strahlt jede Leinwand ihre eigene Stimmung aus: grelle Aktion, florale Pracht, melancholische Dämmerung. Denn Kuhnas recherche des coleurs bringt gerade keine Farbexerzitien hervor. Sie ist erlebnisgesättigt, subjektiv, ja expressiv, wenn wir darunter darunter keine ausfahrende Gestik verstehen, sonder die leidenschaftliche, manische Aktivierung der Farbe auf ihrem kleinsten Nenner: dem Fleck. Gewiss wäre es viel zu flach, in dem Gewimmel auch Spermatreiben zu notieren, doch bedarf es keiner großen Freudschen Verrenkungen, um die heimliche Lust, die nicht nur eine Lust des Malens ist, zu spüren. Die offenkundige Sinnlichkeit älterer Bilder hat keineswegs abgedankt. Sie kehrt nur ins Plasma der malerischen Urzeugung aus dem farbigen Fleck zurück.

Manfred Schneckenburger

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